Stay away from Gretchen – Susanne Abel

Eine Geschichte über Unrecht im Nachkriegs-Deutschland.

Abel, Susanne
Stay away from Gretchen
Eine unmögliche Liebe

München: dtv, 2021

Standort: SL (Schöne Literatur)
Signatur: Abel

526 S. für ein Buch, das mir von einer befreundeten Kollegin empfohlen wurde ließen mich kurz zucken. Aber was kann ich sagen: selten habe ich ein Buch in dieser Geschwindigkeit gelesen. Nach 2 Tagen war die Geschichte bereits Geschichte.

Tom, ein bekannter Fernsehermoderator, erhält die Diagnose, dass seine 84jährige Mutter an Demenz leidet. Für ihn ist das ein Schock, denn zwischen normalen Phasen hat die Mutter immer öfter Aussetzer. Allerdings fängt sie an, sich an Erlebnisse aus ihrer Kindheit und Jugend in Kriegs- und Nachkriegszeiten zu erinnern. Das ist eine Zeit, die sie verdrängt hat und von der Tom nicht viel weiß, denn die Erlebnisse der Mutter waren nicht nur auf der Flucht aus Ostpreußen traumatisch.

Tom findet beim Aufräumen in der Wohnung seiner Mutter eine Schachtel, die sie als ihre „Heidelberg-Schachtel“ definiert. Nach dem Krieg verschlägt es die Familie nach Heidelberg. Gretchen wird von einem schwarzen Soldaten beschützt und verliebt sich in ihn, was, wie man im Laufe des Romans erfährt, nicht folgenlos bleibt. Nicht nur Gretchens Eltern haben Schwierigkeiten mit dem farbigen Baby, sondern auch die bornierte Nachkriegsgesellschaft, die noch in den alten Naziideologien gefangen ist. Das Jugendamt nimmt Gretchen das Kind weg und bringt es in einem Heim unter. Weil Gretchen sich damit nicht abfinden will, wird sie sozialauffällig und landet erst im Gefängnis und dann in der Psychiatrie.

Mit Hilfe einer Kollegin recherchiert Tom und findet immer mehr über das Schicksal der Brown Babys und seiner Schwester Marie heraus, die von den Ämtern nach Amerika in angebliche liebevolle Adoptivfamilien vermittelt werden, was oft eine Umschreibung für billige Arbeitskräfte ist.

Das Buch liest sich sehr süffig. Zwar war mir Tom anfangs ein wenig zu versnobt, aber im Laufe der Geschichte wuchs er mir ebenso ans Herz wie die kleine Marie. Die Kapitel wechseln sich immer zwischen der heutigen Zeit (2015) und den entsprechenden Kriegs- und Nachkriegsjahren ab, in denen die Geschichte aus der Sicht von Gretchen erzählt wird. Dass die Geschichte ein fast glückliches Ende hat, ließ mich auch die Schilderung der Nachkriegsszenarien ertragen, mit denen ich ansonsten im Moment meine Probleme habe.

Marie-Therese Fritzen-Einfeldt
(Diplom-Bibliothekarin in der Freistellungsphase)