Urlaubsausbeute für alle Wetterlagen – 3 Buchtipps

Lebenssekunden
Cover aus Koha

Fuchs, Katharina
Lebenssekunden
München: Droemer, 2021

Standort: SL (Schöne Literatur)
Signatur: FUCH

Wenn man, wie ich, nicht nur wettertechnisch in den Urlaubsaktivitäten ziemlich ausgebremst ist, freut man sich doch umso mehr über anregende, interessante und erfreuliche Lektüre.

Der Roman von Katharina Fuchs katapultierte mich in Kindheits- und Jugenderinnerungen zurück, denn ich habe damals in der DDR lebende Geschwister. Er spielt in den Jahren 1956-1961. Angelika Stein, eine junge Kasslerin, wird wegen ungebührlichen Betragens von der Schule verwiesen, was sich im Nachhinein als Glück erweist. Denn so ist sie nicht in der Schule, als dort ein Blindgänger aus dem 2. Weltkrieg explodiert und ihre beste Freundin ums Leben kommt. Das Foto dieses Unglücks in der Presse schockiert sie zutiefst. Sie interessiert sich schon lange für die Kunst des Fotografierens und hat das Glück eine Fotografen-Lehre machen zu dürfen.

Christine Magold, Tochter eines Republikflüchtigen, lebt zur gleichen Zeit in Berlin in der DDR und wird mit brutalsten Mitteln zur Leistungsturnerin, Spezialdisziplin Barren, ausgebildet. Zu ihrer Ausbildung gehören ein perfider permanenter politischer Druck auf sie und ihre Familie, strikte Nahrungszu-teilung und dadurch ständige Hungergefühle und auch von oben verordnete Körperverletzung, um dem ostdeutschen Bild einer Leistungsturnerin zu entsprechen. Wenn sie nicht spurt, droht ihrem Bruder der Verlust seines Studienplatzes.

Anfangs dürfen die DDR Turner noch an internationalen Wettkämpfen im westlichen Ausland teilnehmen. Staatsziel ist die Olympiade in Rom 1960, zu der aber die Frauen aus fadenscheinigen Gründen nicht fahren dürfen.

Angelikas Lehrherr ist der leibliche Vater von Christine. Angelika geht in den späten 50igern zum „Tagesspiegel“ nach Berlin und versucht sich in einer Männerdomäne ihren Platz zu erobern. Sie fotografiert Willy Brandt und macht sich einen Namen mit ihren Fotos, die anders sind, weil sie einen Blick für die besonderen Momente, die „Lebenssekunden“, hat.

So ist sie 1958 zur Stelle, als die Familie versucht, Christine in den Westen zu bringen, sie aber im Westsektor von den DDR-Behörden eingefangen und zurückgebracht wird. Und sie ist im rechten Moment an Ort und Stelle, um die Sekunde aufs Bild zu bannen, in der sich am 13. August 1961 Christine und ihre Eltern mit Hilfe zusammengeknoteter Bettlaken aus dem Fenster ihrer Wohnung in der Bernauer Str. in die Freiheit retten.

Dieser Roman im Spannungsfeld zwischen beruflicher weiblicher Emanzipation und bespitzelter DDR-Ausbildung lässt sich sehr gut lesen, einziges Manko: das Buch ist von Verlagsseite ärgerlich schlecht redigiert.

Weiter als der Ozean
Cover aus Koha

Turansky, Carrie
Weiter als der Ozean
Aßlar: Gerth Medien, 2021

Standort: SL-Historisches(Schöne Literatur)
Signatur:TURA

Dieser Roman über ein ziemlich dunkles Kapitel der britischen Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit. Schon nach den ersten fünf Seiten hatte er mich in seinen Bann gezogen und ließ mich am Ende mit einem halben Happy End zurück. Eine Fortsetzung scheint geplant!

In England werden nicht nur Anfang des 20. Jahrhunderts Waisenkinder aus armen Verhältnissen, die in Kinderheimen untergebracht sind, als Kinderemi-granten nach Kanada, aber auch nach Australien und Neuseeland geschickt. Angeblich soll sie dort ein besseres Leben in liebevollen Pflegefamilien erwarten, aber allzu oft werden sie als billige Arbeitskräfte missbraucht. Gängige Praxis zu der Zeit ist es auch, Kinder, die unverschuldet in Not geraten sind, ohne das Wissen der leiblichen Eltern, ins Ausland zu schicken.

So auch in diesem Roman. Die in prekären Verhältnissen lebende, alleiner-ziehende Mutter der Zwillinge Katie und Garth, 14, und der 7jährigen Grace kommt mit einer schweren Lungenentzündung ins Krankenhaus. Garth, der sich nicht anders zu helfen weiß, um den Hunger der Kinder zu stillen, wird beim Stehlen eines Brotlaibes aufgegriffen und so landen alle Kinder im Heim und werden nach Kanada geschickt. Ihre erwachsene Schwester Laura versucht noch das Schlimmste zu verhindern, scheitert jedoch, weil sie zum einen nicht der amtliche Vormund der Kinder ist und zum anderen nicht die immensen Unterbringungskosten der staatlichen Heime aufbringen kann. Deshalb verdingt sie sich als Betreuerin einer weiteren Gruppe von Kindern und kommt dabei dem Anwalt Andrew Frasiers und seinem Compagnon Henry Dowd näher. Andrew und Henry untersuchen im Auftrag des Innenministeriums die Praxis der Kinderemigration, denn die Stimmen in England, die dagegen sind, mehren sich. Andrew und Laura gelingt es, wenigstens Katie kurz vor dem Erschöpfungstod zu finden und mit nach Hause zu nehmen.

Das Leben ist zu kurz für irgendwann
Cover aus Koha

Geraghty, Ciara
Das Leben ist zu kurz für irgendwann
München: Goldmann, 2019

Standort: SL (Schöne Literatur)
Signatur: GERA

Terry und Iris sind beste Freundinnen und würden füreinander durchs Feuer gehen. Aber Iris hat MS und ist so krank, dass sie beschließt, ihr Leben selbstbestimmt in der Schweiz zu beenden. Als Terry feststellt, dass Iris bereits auf dem Weg dorthin ist, packt sie ihren betagten, dementen Vater ins Auto und begleitet Iris in die Schweiz. Terrys Mann und ihre Kinder sind darüber ziemlich konsterniert. Die drei begeben sich auf eine abenteuerliche Reise durch England und Frankreich und auf Terrys Initiative hin kommt es sogar zur Versöhnung zwischen Iris und ihrer Mutter. Was die schlimmsten Tage in Terrys Leben hätten werden können, denn sie hofft immer noch, Iris von ihrem Plan abzubringen, werden trotz mancher Auseinander-setzung mit Iris ihre besten. Die drei Tage sind mit praller Lebenslust, französischem Savoir-vivre und unverbrüchlicher Freundschaft gefüllt. Terry entdeckt ungeahnte Stärken bei sich und wird Einiges in ihrem weiteren Leben ändern. Sie lernt, dass es ein Geschenk ist, das Leben zu leben, jeden einzelnen Tag.

Ich schließe mich in meinem Urteil dem Umschlag-Fazit an: „Liebevoll, witzig, Herz zerreißend – ein anrührender Roman über die Fülle des Lebens und die Kunst, Abschied zu nehmen.“

Marie-Therese Fritzen-Einfeldt
(Diplom-Bibliothekarin)